In seinem Langfilm-Debut setzt Claude Chabrol die Forderungen der Nouvelle Vague gleich einmal in die Tat um: er erzählt mit einer Mise en Scène direkt aus dem Baukasten der Theorien seines intellektuellen Ziehvaters André Bazin von dem Sinnverlust einer Existenz in der Provinz. Wir kehren mit dem Studenten François in dessen Heimatdorf zurück, in dem alles, was mal an seinem Platz war, nicht mehr zählt und der Untergang der dortigen Gemeinschaft stetig voranschreitet. Es gibt kaum Arbeit, Paris ist genau so weit weg wie fließend Wasser oder Strom, die Gebäude verfallen genauso wie die verstetigten Normen, die ein Zusammenleben ermöglichen. Da ist die minderjährige Dorfschönheit nur noch über Sex in der Lage, für sich Bestätigung zu finden, der Pfarrer alleine mit sechs älteren Damen in der zugigen Kirche. Und auch die Arbeit ist rar, sodass selbst Serge, der Schönste und Klügste aus François‘ Klasse, nur noch LKW-Fahrer ist, ein sehr passender Job für jemanden mit schwerer Alkoholabhängigkeit.
Was wie ein Abgesang auf die arme Provinz aus dem modernen Paris wirken könnte, ist ebenso eine Konfrontation für den Zuschauer und Filmemacher, dem Intellektuellen aus dem Zentrum des Landes, der sich als moralische Instanz betrachtet. Stilistisch ist der Film gerade in seiner Zeit atemberaubend und revolutionär: die Kamera wird zum Akteur, die auf das Schauspiel zu reagieren scheint, deren Schwarz-Weiß-Bild im alten 4:3-Format niemals auf Perfektion der Ausleuchtung und geschmackvolle Cadrage setzt, dafür aber klug das eigene Wissen über die Kinogeschichte einwebt - so wird der Film unmittelbar, direkt und dennoch emotional mitreißend.


Shownotes
Zusammenfassung

In seinem Langfilm-Debut setzt Claude Chabrol die Forderungen der Nouvelle Vague gleich einmal in die Tat um: er erzählt mit einer Mise en Scène direkt aus dem Baukasten der Theorien seines intellektuellen Ziehvaters André Bazin von dem Sinnverlust einer Existenz in der Provinz. Wir kehren mit dem Studenten François in dessen Heimatdorf zurück, in dem alles, was mal an seinem Platz war, nicht mehr zählt und der Untergang der dortigen Gemeinschaft stetig voranschreitet. Es gibt kaum Arbeit, Paris ist genau so weit weg wie fließend Wasser oder Strom, die Gebäude verfallen genauso wie die verstetigten Normen, die ein Zusammenleben ermöglichen. Da ist die minderjährige Dorfschönheit nur noch über Sex in der Lage, für sich Bestätigung zu finden, der Pfarrer alleine mit sechs älteren Damen in der zugigen Kirche. Und auch die Arbeit ist rar, sodass selbst Serge, der Schönste und Klügste aus François‘ Klasse, nur noch LKW-Fahrer ist, ein sehr passender Job für jemanden mit schwerer Alkoholabhängigkeit.


Was wie ein Abgesang auf die arme Provinz aus dem modernen Paris wirken könnte, ist ebenso eine Konfrontation für den Zuschauer und Filmemacher, dem Intellektuellen aus dem Zentrum des Landes, der sich als moralische Instanz betrachtet. Stilistisch ist der Film gerade in seiner Zeit atemberaubend und revolutionär: die Kamera wird zum Akteur, die auf das Schauspiel zu reagieren scheint, deren Schwarz-Weiß-Bild im alten 4:3-Format niemals auf Perfektion der Ausleuchtung und geschmackvolle Cadrage setzt, dafür aber klug das eigene Wissen über die Kinogeschichte einwebt – so wird der Film unmittelbar, direkt und dennoch emotional mitreißend.


Daten & Verfügbarkeit

Le beau Serge (de.: Die Enttäuschten), F 1958, Regie: Claude Chabrol


Wir haben die Blu-ray aus der Masters of Cinema-Reihe von Eureka geschaut, die wie immer in ein fantastisches Bild liefert und kluge Extras bietet. Leider ist sie schon out-of-print.


Rechtliches

Für den Podcast wurden Soundeffekte von der Seite Freesound.org verwendet (Beschreibungen in Englisch):

Film Projector Countdown.flac by qubodup, licensed under Creative Commons 3.0 Attribution, the original file was edited (shortend) and is part of a mix of several sound layers.
zeissIkon_4ton.mp3 by al_sub, licensed under Creative Commons 3.0 Attribution, the file was not changed, but is part of a mix of several sound layers.
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Old Film optical track Surface Noise by JohnsonBrandEditing, licensed under Creative Commons 1.0 Universal (public domain)
sonVidage2.WAV by gouvradou, licensed under Creative Commons 1.0 Universal (public domain)

Thanks to all creators and the community of freesond.org!


Special Thanks

Ein besonderer Dank geht an Florian Hoffmann, der unseren bescheidenen Intro-Text wie ein Ereignis hat klingen lassen. Alle unsere Versuche, ihn mit Nachbearbeitung auf unser Niveau herabzuziehen, sind zum Glück fehlges


Der Beitrag Episode 055: Die Enttäuschten (Le beau Serge), 1958 erschien zuerst auf Ein Filmarchiv.