Frankreich will die Kernenerige „neu erfinden“, Deutschland schaltet die letzten Atomkraftwerke ab – die Kernkraft spaltet Europa. Während die einen mit Atomkraftwerken ihre CO2-Bilanz verbessern wollen, sehen die anderen die ungelöste Frage nach der Lagerung des für zehntausende Jahre strahlende Mülls und die Gefahr eines GAUs. Ob die Kernenergie tatsächlich eine Renaissance erlebt, was dabei die von Bill Gates gehypten Mini-Reaktoren für eine Rolle spielen, und was das alles für den Klimaschutz bedeutet, darum geht es in dieser Gradmesser-Folge, unter anderem mit dem Energieökonomen und Autoren des Weltklimarates Andreas Löschel.

Wette auf die Zukunft: EU-Staaten wollen mit Atomkraft ihre CO2-Bilanz verbessern. Deutschland bleibt beim Ausstieg. Im Gradmesser: Was das für das Klima heißt.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will die „Atomkraft neu erfinden“, in Deutschland gehen Ende kommenden Jahres die letzten drei der aktuell noch sechs laufenden Kernkraftwerke vom Netz. Atomenergie spaltet im wahrsten Sinne des Wortes, das zeigt sich auch aktuell in der Europäischen Union.
Denn während Länder wie zum Beispiel Deutschland, Spanien oder Österreich einen klaren Anti-Atomkurs fahren, sehen Frankreich und osteuropäische Länder Kernenergie als Möglichkeit, CO2-Emissionen bei der Stromgewinnung zu senken und die EU-Klimaschutzziele leichter zu erreichen. Auf die Frage der Endlagerung des radioaktiven, zehntausende Jahre strahlenden Mülls aus den Kraftwerken haben aber auch diese Staaten bisher keine Antwort gefunden.
Ob die Atomkraft in Europa tatsächlich eine Renaissance erlebt, was dabei die aktuell nicht nur von Emmanuele Macron sondern auch von Microsoft-Gründer Bill Gates gehypten Mini-Reaktoren für eine Rolle spielen, und was das alles für den Klimaschutz bedeutet, darum geht es in dieser Gradmesser-Folge.
Der Energieökonom Andreas Löschel leitet unter anderem die Expertenkommission „Energie der Zukunft“ der Bundesregierung und ist Leitautor des Weltklimarates. Er geht davon aus, dass Deutschland das Ziel Klimaneutralität im Jahr 2045 „auch ohne Kernenergie“ erreichen kann.
Allerdings müsse jetzt nicht nur massiv der Ausbau der Erneuerbaren Energien verstärkt werden. Für eine Übergangszeit braucht es nach Einschätzung des Professors für Umwelt und Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit beispielsweise auch Gaskraftwerke, um eine Energielücke durch den Kohleausstieg voraussichtlich 2030 zu vermeiden.
Debatten darüber, den Atomausstieg in Deutschland nach hinten zu verschieben, hält er dagegen für schädlich. Die Industrie hat sich nicht nur seit Jahren darauf eingestellt und entsprechend geplant, so dass die Kraftwerke nur noch vom Staat weiter betrieben werden könnten. Löschel weist auch auf einen anderen Punkt hin: Gerade im Blick auf die notwendigen neuen Investitionen in Erneuerbare Energien muss die Industrie auf die Verlässlichkeit politischer Entscheidungen vertrauen können.
Obwohl Atomkraft inzwischen sehr viel teurer ist als die Erneuerbaren Energien, geht Löschel davon aus, dass Kernenergie in manchen EU-Staaten weiter eine Rolle spielen wird, nicht unbedingt aus ökonomischen Gründen, aber „aus gesellschaftlichen oder politischen“. Der Fokus bei der europäischen Energiewende aber werde „überall auf den Erneuerbaren“ liegen. Ob die Mini-Reaktoren, an denen derzeit in vielen Ländern geforscht wird, dabei eine Rolle spielen können, bewertet er zurückhaltend und erwartet deren Einsatz nicht vor Mitte der 30er Jahre.
Außerdem geht es im Podcast um die Weltklimakonferenz, die noch bis zum 12. November im Glasgow stattfindet. Susanne Ehlerding vom Tagesspiegel Background Energie und Klima ist in Schottland mit dabei, ihr Fazit nach einer Woche: Eine richtig schlechte Nachricht, und viele kleinere Gute.
Wenn Ihr einen Themenvorschlag für den Gradmesser habt, oder eine Frage loswerden wollt, dann schreibt uns gerne an [email protected].