„Wer man ist, das weiß man selbst am besten“, sagte dieser Tage eine Politikerin in den Abendnachrichten über den Kabinettsbeschluss zum neuen Selbstbestimmungsgesetz.


Ich habe da meine Zweifel. Manche Menschen kennen sich besser, manche schlechter. Und viele wollen sich am liebsten gar nicht kennen lernen, sondern jemand sein, der sie nicht sind. Und wenn sie das dann erkennen und der Enttäuschungsschmerz nachlässt, werden sie freier und froher als je zuvor.


Auch ich habe lange gebraucht, um mich halbwegs zu kennen. Dieser Lernweg verlief über ziemlich schmerzhafte Umwege. Ohne Menschen, die mich lieben und erkannt haben, was in mir steckt, was ich vermag, wie und wer ich bin, wüsste ich sehr wenig von mir. Ohne die ernüchternde, erhellende und bewährende Erfahrung meiner selbst im Umgang mit ihnen würde ich wahrscheinlich noch immer manchen Traum verteidigen von jemandem, der ich nicht bin und den es nicht gibt.


In den Berufungsgeschichten der Evangelien geht es oft um das Erkennen Jesu und das Erkanntwerden von ihm. Auch in dem Gespräch zwischen Jesus und Petrus während der Reise an die Jordanquellen bei Caesarea Philippi. Jesu fragt, was die Leute und was die Jünger vom ihm sagen.


„Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“, bekennt Petrus. Und daraufhin hört er, wer er selbst ist: „Du bist Petrus“, sagt Jesus zu dem, den er gerade noch mit seinem Namen „Simon Barjona“, „Simon, Sohn des Johannes“ angesprochen hatte.


Über die Bedeutung des Namens Petrus ist viel nachgedacht worden. Das Wort kommt vom griechischen petra, der Fels. Der griechische Name Petros heißt also nicht der Fels, sondern eher der Felserne. Das kann sich entweder auf seine eigene Person beziehen, der die Eigenschaften eines Felsens (wie Stabilität und Festigkeit) zugeschrieben werden, oder auf seine Verbundenheit mit einem Felsen, an dem er Halt und ein Fundament findet und so auch selbst zu einer Festigkeit, Klarheit und Entschiedenheit kommt, die ihm ohne die Verbindung zu diesem Felsen nicht eigen wäre.


Ich neige zu der letzteren Deutung. Denn im Evangelium wird uns von Petrus beides gesagt: dass er eine gutwillige, dominante und meinungsstarke Führungsfigur ist (und sein will), und dass er zugleich ungestüm, zu schnell im Urteil, zu sehr von sich überzeugt und am Ende feige ist und seinen Herrn verrät.


Beides, seine Stärken und Schwächen, wird Simon noch schmerzlich kennen lernen. In der Verbundenheit mit Jesus, der ihn bis auf den Grund erkannt hat, wird er lernen, sich selbst zu erkennen und sich anzunehmen, zu wachsen und zu lieben und in all dem ein Petros zu werden.


Der Felsen, auf dem die Kirche gebaut ist, ist nicht Petrus, sondern Jesus selbst – und die Beziehung zu ihm. In diesem Sinne deutet der heilige Paulus den Korinthern die Erzählung des wasserspendenden Felsens, der mit dem Volk Israel durch die Wüste zieht: „Sie tranken aus dem geistgeschenkten Felsen, der mit ihnen zog. Und dieser Fels war Christus.“ (1 Kor 10,4)


Die Kirche, so könnte man sagen, ist darauf gebaut, dass Menschen in Jesus Gott erkennen und von ihm erkannt werden. Petrus ist „der Felserne“, weil er mit dem Felsen verbunden ist und von dem Felsen her lebt, der Christus ist. Ihn hat er mit Gottes Hilfe erkannt. Von Ihm lässt er sich erkennen. Durch Ihn lernt er sich kennen und wird immer mehr der, der er von Gott her ist. Mit Ihm erkennt er auch seine Nächsten und lernt sie lieben, damit auch sie sich selbst und einander erkennen und in der Liebe wachsen.


Die Felsverbundenheit des Petrus ist ein Zeugnis, das im Dienst, im Amt und in der Person des Nachfolgers Petri weitergegeben wird.


Aber die Einladung, die Petrus und seine Nachfolger zu bezeugen haben, ergeht an alle: Wir dürfen Christus erkennen und uns von ihm erkennen lassen – und mit ihm auch einander erkennen.


Denn keiner kennt sich selbst von alleine. Den Menschen erkennt nur, wer ihn liebt.


Fra' Georg Lengerke